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Kommunikation ohne Gewalt? Selbstverständlich!

Lass die beiden mal aufeinander los, dann siehste, was passiert!

Quatsch, die treffen sich doch gar nicht!

Ach nee?

Schon haben wir einen kleinen (oder großen?) Konflikt. Kann in einen hübschen Streit ausarten. Und was machst Du dann mit Deiner aufsteigenden Wut? Runterschlucken? Bitte nicht. Ist gar nicht gesund.

Lies bitte diesen Satz einmal ganz ruhig durch und denk eine Minute drauf rum:

Beobachten, ohne zu bewerten, ist die höchste Form menschlicher Intelligenz.

Du kannst jederzeit wieder zurückscrollen, ich lass Dich noch ein bisschen allein damit.

Wir machen erst einmal weiter im Text. Stell Dir also  vor, Giraffe und Wolf werden aufeinander losgelassen (obwohl das in der Natur nicht geht, da hat der Besserwisser oben schon Recht), und wir möchten eigentlich nicht sehen, was da passieren könnte: Der Wolf und vielleicht noch ein paar Kollegen würde die Giraffe anspringen und sich festbeißen, die Giraffe würde, möglicherweise vergeblich, versuchen, die Angreifer mit Huftritten zu vertreiben.

Ich vermute mal, Du weißt schon längst, was mit diesen beiden schönen Symbol-Tieren gemeint ist: Sie sind die Sinnbilder der Gewaltfreien Kommunikation (GfK) nach Marshall Bertram Rosenberg*. Er hat ein Handlungskonzept entwickelt, das – unter der Voraussetzung der Freiwilligkeit – auf wertschätzenden Beziehungen, friedlichen Konfliktlösungen, Kooperation und der Unterstützung gegenseitigen Wohlergehens basiert.

Das hört sich vielleicht ein wenig abgehoben an. Obwohl: Den meisten von uns hat ja die Erziehung eingebläut, dass es sich nicht schickt, sondern ungebührlich oder ungezogen ist – oder auch ungünstig und unklug – Wut oder Ärger offen zu zeigen. Man hat uns beigebracht, diese Emotionen zu unterdrücken mit der Begründung, sie seien schlecht. Und so machen wir das artig und vielleicht bist auch Du der Auffassung, dass gesittete Kommunikation doch ganz bestimmt gewaltfrei ist …

Aber was ist Gewalt? Auf jeden Fall sind Wut und Ärger sehr starke, archaische Emotionen und Gewalt lauert oft im Hintergrund. Besonders verbale Gewalt, die die Vorstufe zu psychischer – und, wie wir wissen, oft auch physischer – Gewalt ist. Wenn so starke Emotionen im Raum sind, ist es nicht einfach, mit ihnen auf unschädliche, friedliche Weise umzugehen.

Je nachdem, wie die Erziehung zur Unterdrückung gehandhabt und aufgenommen wurde, kann sie sogar dazu führen, dass der so aufgewachsene Mensch alles mit sich machen lässt. Im schlimmsten Fall kann ihm das Rückgrat gebrochen oder er zum Amokläufer werden.

Um das und auch weniger Schlimmes zu verhindern, befürworten manche ein angeblich ungefährliches „Sich-Luft-Machen“, indem sie bspw. empfehlen, wütend auf Kissen einzuschlagen. Die Wirkung ist jedoch nur oberflächlich: Teilnehmende an solchen Veranstaltungen wirken zunächst vielleicht tatsächlich ein wenig unverkrampfter. Aber sie wissen nicht ursächlich anders mit ihren Emotionen umzugehen und Kissen sind auch nicht überall verfügbar. Sie drücken die Spitze des Eisberges nur etwas unter Wasser, sozusagen. Das hält keiner lange durch: Irgendwann werden sie ihrer Wut und ihrem Ärger auf vielleicht viel raffiniertere, verborgene Weise Luft machen (bspw. durch Mobbing).

Rosenberg bringt hierfür einen einleuchtenden Vergleich: Wut und Ärger sind wie die Warnleuchten in unseren Autos. Auf gar keinen Fall würden wir diese roten Lämpchen ignorieren, denn sie signalisieren, dass etwas nicht in Ordnung ist und das kann gefährlich sein. Wenn wir wütend oder ärgerlich sind, stimmt auch etwas nicht und kann gefährlich sein oder werden. Und es ist genau wie beim Auto sehr wichtig, die wahre Ursache zu finden und zu beheben und nicht nur irgendetwas Oberflächliches zu tun – oder gar einfach das Lämpchen abzuknipsen.

Wie geht „gewaltfrei“ ohne selbst den Kürzeren zu ziehen?

Wenn Du jetzt ein bisschen einsteigen möchtest in die GfK, dann lies weiter. Wenn´s Dir bis hierher schon reicht: Tschüs, hab einen sehr schönen Tag und lass Dich nicht ärgern 😎.

Hier folgt nun ein Crash-Kurs in Sachen gewaltfreier Kommunikation*
Teilnahme auf eigene Verantwortung!

Es ist wohl schon bekannt, dass sich hinter Ärger und Wut (und auch hinter Angst) Bedürfnisse verbergen. Je stärker die Wut und der Ärger, umso wichtiger das Bedürfnis, das nicht befriedigt ist.

Dem auf den Grund zu gehen, ist nicht einfach. Wut und Ärger haben (meist) einen äußeren Auslöser oder Anreiz und gemeinhin sehen wir den auch als die Ursache unserer aufgebrachten Emotionen an. Wir vermischen den Auslöser mit der Ursache. Wir sind einfach erst mal auf das rote Lämpchen wütend! Wir bewerten das rote Lämpchen als blöd oder hinterlistig, weil uns stört, dass es angegangen ist (und wir vielleicht ein schlechtes Gewissen haben, weil der Wagen schon längst zur Inspektion sollte).

Genauso bewerten wir das, was geschehen ist oder gesagt wurde, negativ und reagieren mit Wut und Ärger auf den Auslöser. Dabei ist es so, dass das, was gesagt wurde oder geschehen ist, gar nicht in der Lage wäre, uns wütend zu machen. Es ist eher unsere Einschätzung, also unsere Bewertung, die die Wut entflammt. Unsere bewertenden Gedankengänge unterstellen gewohnheitsmäßig der anderen Seite üble Motive.

Es ist also erforderlich, zunächst den Auslöser klar zu identifizieren. Das kann auf verschiedene Weise geschehen:

  1. Das Gesagte oder Geschehene könnte persönlich genommen und als Ablehnung gewertet werden. Ablehnung macht uns aber nicht eigentlich wütend, sondern eher traurig, wir empfinden Schmerz oder sind mutlos.

  2. Wir könnten in uns hienein hören und erspüren, was unsere Bedürfnisse Dann wären wir nicht wütend, sondern würden uns (möglichst konstruktiv) bemühen, das zu erhalten, was wir benötigen.

  3. Wir könnten uns bemühen, zu erkennen, welche Bedürfnisse die andere Seite sich gerade erfüllen wollte und das in Zusammenhang mit ihren Worten oder der Handlung bringen. Auch hier würden wir nicht wütend werden; wir sind zwar nicht in engem Kontakt mit unseren eigenen Gefühlen, aber wir richten unsere Aufmerksamkeit auf die andere Person.

  4. Wir werden uns bewusst, in Begriffen zu denken, die das Handeln anderer Menschen analysieren und dass wir sie als fehlerhaft bewerten. Wut und Ärger fußen immer auf solchen Gedanken! Hier ist der Punkt, an dem wir uns ganz klar und sorgfältig bewusst machen sollten, was uns wirklich ärgert, warum genau wir wütend sind.

Die Ursache für Wut und Ärger liegt also in unserer Bewertung dessenwas andere tun oder sagen – und nicht in der Sache an sich.

Wie können wir einigermaßen sicher zwischen Auslöser und Ursache unterscheiden lernen? Warum ist das überhaupt so schwer?

Weil wir zu der Auffassung  erzogen wurden – und wohl auch selbst erkannt zu haben glauben – dass SCHULD ein sehr wirksames Motivationsmittel ist. Wenn jemand (anderes) Schuld hat, sind wir schuldlos! So übertragen wir über den Umweg unserer Bewertung anderen die Verantwortung für unsere Befindlichkeit … meist sogar, ohne dass es uns bewusst wird.

Beispiel*: Eltern sagen dem Kind: „Es verletzt uns zutiefst, wenn du dein Zimmer nicht aufräumst“. Oder jemand anderes sagt: „Es macht mich sehr ärgerlich, wenn Du jeden Abend ausgehst!“. Die hier Sprechenden unterstellen, wie leicht zu erkenne ist, dass der Auslöser auch die Ursache ihrer Gefühle ist. Damit weisen sie der anderen Person die Schuld für ihre Befindlichkeit zu. So machen wir es meistens. Und damit wenden wir verbale Gewalt an.  

Kommunizieren wir gewaltfrei, machen wir uns eine grundlegende Unterscheidung zu eigen: „Ich fühle mich (z.B.) verletzt, weil ich mir Gedanken über die Handlungen der anderen Person mache. Ich denke, die Person ist unhöflich, faul, manipulierend, das sollte sie nicht tun.“ Die andere Person tut etwas, das nicht richtig ist und das uns wütend macht; in uns kann sogar der Wunsch wachsen, die Person zu tadeln und zu bestrafen.

Aber ich mache mir bewusst: Die Ursache meiner Wut liegt allein darin, wie ich das, was die andere Person macht, interpretiere.

Wenn sich also solche Gedanken einstellen, sollten sie gerade nicht unterdrückt werden. Wir können sie in eine andere „Sprache“ übersetzen:

  • Wir machen uns unser Denken, das uns in Wut versetzt hat, bewusst: Wir identifizieren den Auslöserfür unsere Wut ohne Vermischung mit einer Bewertung der Person.

  • Dann machen wir uns klar, dass es ausschließlich unsere negative Bewertung / Beurteilung ist, die Wut erzeugt hat.

  • Als nächstes wandeln wir das Ganze so um, dass wir erkennen, welche unserer Bedürfnisse durch die Handlung oder Worte der anderen Person nicht erfüllt worden sind. Die Schwierigkeit dabei ist, dass wir mit unseren eigentlichen Bedürfnissen so oft nicht in Kontakt sind.

Statt nachzuspüren, was uns fehlt, denken wir darüber nach, was mit der anderen Person nicht in Ordnung sein könnte, dass sie sich so verhält, wie sie es tut. Die negativen Urteile, die wir über andere Menschen fällen, sind entfremdete, verzerrte Ausdrucksformen unserer eigenen unerfüllten Bedürfnisse.

Aber es ist ja so: Wenn wir jemandem sagen, was an ihm  falsch ist, haben wir nur eine sehr geringe Chance, dass er unsere Bedürfnisse erfüllt. Die Person wird sich wehren und nicht kooperieren.

Und selbst, wenn wir die Person so manipulieren könnten, dass sie dieses eine Mal oder nur für eine kurze Zeit tut, was wir wollen, handelt sie aus einer Energie heraus, für die wir letztlich bezahlen werden. Unsere Wünsche werden vielleicht aus Furcht vor Strafe oder Sanktionen erfüllt – nicht aus freiem Willen.  Aber möchten wir, dass jemand etwas für uns tut, weil er/sie sonst befürchten müsste, bestraft, getadelt, beschuldigt, beschämt oder sonst wie in seiner Würde beschädigt zu werden?

Wir sollten in guten Kontakt mit unseren Bedürfnissen kommen und sie sauber benennen können. Wir müssen sie gut kennen und sie uns ins Bewusstsein holen. Wir müssen sie klar und verständlich ausdrücken.

Wut, Ärger, Angst & Co aber lenken uns von unseren wirklichen Gefühlen ab; sie werden ausgelöst, wenn wir unseren negativen Gedanken, Unterstellungen und Vermutungen über andere folgen. So verlieren wir den Kontakt zu unseren inneren Bedürfnissen. Andererseits helfen unsere Missbefindlichkeiten uns auf diese Weise, unsere Bedürfnisse zu stillen.

Beispiel Hunger: Dabei fühlen wir uns nicht wohl und suchen nach Nahrung. Würden wir uns bei Hunger wohl fühlen, würden wir verhungern*.  

  • Bis hier hatten wir „Gedanken- und Gefühlsarbeit“; jetzt kommt das, was wir der anderen Person tatsächlich sagen, nämlich vier Dinge:

Was hat die Person getan (sachlich ohne Bewertung), also was ist der Auslöser für unseren Ärger.

Wir drücken aus, wie wir uns fühlen – hierbei unterdrücken wir unseren Ärger und unsere Wut nicht, aber wir verwandeln sie in Gefühle: Wir sagen, wir fühlen uns (z.B.) traurig, ängstlich, unsicher, erschrocken, frustriert, wir spüren Schmerzen u.a.

Dann formulieren wir eine Aussage über unsere Bedürfnisse, z.B. ich wünsche mir, dass ich ernst genommen werde, ich brauche Sicherheit, damit ich meine Arbeit gut durchführen kann – wir sprechen dabei immer in der Ich-Form und im Präsenz.

Als Viertes äußern wir unsere klare, gegenwartsbezogene Bitte: Wir sagen der anderen Person, was wir brauchen mit Bezug auf unsere Gefühle und unsere unerfüllten Bedürfnisse. Wohlgemerkt: Eine Bitte. Sie ist ergebnisoffen und kann auch abschlägig beschieden werden, aber durch die Vorbereitung stehen die Chancen gut …

Die Praxis:  (üben, üben)

Wenn also die andere Person etwas in mir auslöst und ich fühle, wie in meinem Innern langsam die Wut aufsteigt, baue ich eine Verbindung zu meinen Bedürfnissen hinter meinen gedanklichen Urteilen und Bewertungen auf. Dann atme ich tief und durchlaufe den oben genannten Prozess. Sobald ich mich dabei ertappe, mich zu ärgern, halte ich inne, atme tief und frage mich, was ich mir gerade sage, das mich so ärgerlich macht. So komme ich in den Kontakt mit meinen Bedürfnissen, denn die Wut ist, wie gesagt, eine verzerrte Darstellung dessen, was ich selbst benötige.

Mit Übung kann dieser ganze Prozess in wenigen Sekunden ablaufen und ich habe die Chance, dass ich das, was ich benötige, erhalte, ohne dass die andere Person sich manipuliert fühlt. Die Frage, die wir uns dazu stellen, lautet also: „Was habe ich gerade gebraucht, das durch dieses Urteil / diese Bewertung ausgedrückt wurde?“

Hinweis: Bitte notiere, falls Du zu üben beginnst, Deine Urteile, Bedürfnisse und Verläufe und nutze sie zur weiteren Übung. Du kannst das im Ernstfall nur, wenn Du es geübt hast!

Wut und Bestrafung / Rache

Gedanken, mit denen wir uns selbst ärgern, obwohl sie ein Urteil über eine andere Person darstellen, führen leicht zu weiteren Gedanken, nämlich darüber, dass und wie diese Person zu betrafen sei. Die Urteile, die eine solche Zusatzreaktion hervorrufen, haben meist moralischen Charakter; wir halten die andere Person für unzureichend, verantwortungslos, ungeeignet usw.; die Person hätte das, was sie getan oder gesagt hat, nicht tun oder sagen dürfen. Sie verdient deshalb in irgendeiner Form eine Verurteilung oder Bestrafung.

Hier sind zwei Fragen*, die, wenn wir sie uns beide stellen, ganz klar zeigen, dass Bestrafung selten zu einer konstruktiven Art, unsere Bedürfnisse zu stillen, führt.

  1. Was möchten wir, dass die Person es anders macht, als sie es bisher getan hat?
  2. Welche Motivation soll die Person zu ihrem Handeln veranlassen, wenn sie tut, was wir von ihr wünschen?

Frage 1 könnte vermuten lassen, dass Bestrafung hier und da doch zum Ziel führen würde. Aber der Akt der Bestrafung ruft in Menschen sehr leicht Feindseligkeit hervor, sodass sie einfach aus Groll oder Ärger mit dem, worüber wir uns geärgert haben, fortfahren – oft sogar beharrlicher, als wenn keine Bestrafung erfolgt wäre.

Frage 2: Die Antwort darauf zeigt uns wahrscheinlich schnell, dass wir nicht wollen, das Menschen etwas aus einer Verpflichtung heraus oder aus Schuld oder Scham tun, oder um sich unsere Liebe zu erkaufen. Wir ziehen es wahrscheinlich vor, dass Menschen nur dann etwas tun, wenn es aus ihrem eigenen, feien Willen heraus geschieht.

(Sogar jemanden aus Rache oder Vergeltung umzubringen, ist schlicht viel zu oberflächlich betrachtet.)

Funktioniert GfK auch, wenn der andere keine Ahnung davon hat?

Probier es aus. Du wirst sehen: Ja, es funktioniert. Es kann für Dich zunächst etwas verunsichernd sein, weil immer wieder von Dir verlangt wird, Deine Verwundbarkeit zu zeigen und (scheinbar) schutzlos zu erklären, wie es Dir geht. Die wenigsten Menschen, mit denen wir täglich zu tun haben – mit denen aber die Konflikte oft entstehen – sind in GfK ausgebildet. Und dennoch oder gerade deshalb funktioniert GfK auch mit ihnen. Es erfordert Übung, im Prozess zu bleiben, wenn die andere Seite dauernd ausbüxt … da ist es gut, wenn die richtige Einstellung schon etwas gereift ist. Aber jeder Konflikt mit einer untrainierten Person ist eine gute Gelegenheit, zu üben.

GfK vermittelt uns auf eine prozessorientierte, wissenschaftliche Art und Weise, was es im spirituellen Sinn bedeutet, dass das Innerste nicht verletzbar ist.

*Geschrieben und zitiert nach Marshall B. Rosenberg:
Was deine Wut dir sagen will, 
Jungfermann Verlag

Anmerkung: Ob GfK mit Herrn Putin funktionieren würde? Tja … kannst Du Dir das vorstellen?

 

ÜbrigensWenn Du schnell und ganz persönlich ein Feedback geben und Antwort von mir haben möchtest, schreib mir einfach eine Mail: erc@evelynrittmeyer.com oder eine WhatsApp (0172 850 17 21). Ich lese jede Mail und jede WhatsApp und antworte a.s.a.p.

Giraffen als Vorbild: Da wurde
Beobachten, ohne zu bewerten, zur höchsten Form menschlicher Intelligenz.

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